Die Septembersitzung der Bezirksversammlung war nicht nur rekordverdächtig lang und umfangreich, sie markiert möglicherweise auch einen „Kipppunkt“, wenn wir in einigen Jahren darauf zurückblicken.
Die Septembersitzung der Bezirksversammlung war nicht nur rekordverdächtig lang und umfangreich, sie markiert möglicherweise auch einen „Kipppunkt“, wenn wir in einigen Jahren darauf zurückblicken.
Wir begannen mit der Abstimmung über einen von uns eingebrachten Dringlichkeitsantrag mit dem Titel „Soziokulturelle Zwischennutzung des Karstadt-Gebäudes nicht aus den Augen verlieren“. Leider folgten der Dringlichkeit nicht alle Parteien. Unser Petitum wurde dann aber im weiteren Verlauf der Sitzung im Antrag der Volt-Fraktion zu Karstadt übernommen. Für uns ist und bleibt wichtig, dass wir die Gunst der Stunde – oder eben des nahezu leeren Gebäudes – dazu nutzen, Räume für die Kultur im Bezirk zu schaffen.
Auf Antrag der CDU stand die Neuwahl des Präsidiums der Bezirksversammlung auf der Tagesordnung. Dazu muss man wissen, dass die parteipolitische Neutralität von Parlamentspräsidien in 90 Jahren parlamentarischer Demokratie in Deutschland (1919-1933 und seit 1949) ein Grundpfeiler des demokratischen Staatsaufbaus ist. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes wollten die parlamentarischen Rechte von Minderheiten geschützt wissen. Deshalb haben sie die Gestaltungsspielräume für den Bundestag, die Landesparlamente und die kommunalen Gremien beschränkt. Der Regelfall ist, dass Parlamentspräsidien zu Beginn einer Amtsperiode gewählt werden und dann nicht mehr abgewählt werden können, es sei denn, ein Mitglied tritt zurück oder verliert das Mandat bzw. scheidet aus dem Parlament aus.
Eine Abweichung von dieser Regel ist möglich, wenn ein Parlament z. B. in der eigenen Geschäftsordnung etwas anderes beschließt. Dafür, dass ein Parlamentspräsidium ohne entsprechende Regelung per einfachem Beschluss zu einer Neuwahl gebracht werden kann, gibt es kein einziges Beispiel in der Geschichte. Versucht wurde es des Öfteren. Zuletzt versuchte die AfD die Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau (Linke) abwählen zu lassen, nachdem die Fraktion der Linken sich durch die Gründung des BSW aufgelöst hatte. Sämtliche demokratischen Kräfte im Bundestag haben sich diesem Ansinnen geschlossen entgegen gestellt, auch Thorsten Frei (CDU) und Wolfgang Kubicky (FDP) haben entschlossen dafür argumentiert, dass Petra Pau bis zum Ende der Amtsperiode gewählt sei und eine Abwahl unzulässig ist.
In Harburg dagegen wurde unser Antrag, die Neuwahl von der Tagesordnung zu nehmen, mit den Stimmen von CDU, AfD, Volt, der FDP und den fünf fraktionslosen Abgeordneten der SPD abgelehnt.
Doch bevor wir dazu kamen, stand noch die Aktuelle Stunde auf dem Programm, die mit dem Titel „Harburg – Starker Bezirk, starke Bezirksversammlung?“ von der CDU angemeldet wurde. Ich, Michael, habe mich gefragt, warum die CDU ein Fragezeichen im Titel gesetzt hatte. Meine Erklärung: Die CDU hat in den letzten Monaten gemerkt, wie schwierig es ist, in komplexen Verhältnissen als größte vieler kleinerer und mittelgroßen Fraktionen und Gruppen Politik im Bezirk zu gestalten. Der CDU-Chef Rainer Bliefernicht hatte hauptsächlich eine alte Schallplatte dabei, dass der Hamburger Senat Schuld daran sei, dass die Bezirke sich nicht entfalten könnten, weil er ihnen so viele Entscheidungskompetenzen entzogen habe und zu wenig Geld gebe. Bei der momentanen Aufstellung der Harburger CDU muss man allerdings oft froh sein, dass die Entscheidungsspielräume nicht größer sind.
Nachdem bei den Finanzbeschlüssen die CDU gegen einen Antrag gestimmt hat, der auf jahrelange Vorarbeit ihres ehemaligen und mittlerweile leider verstorbenen Fraktionschef Ralf-Dieter Fischer zurückgeht, stiegen wir in den Tagesordnungspunkt „Neuwahl des BV-Präsidiums“ ein. Ich habe für unsere Fraktion erläutert, dass wir an einer illegalen Wahl nicht teilnehmen würden und dass die CDU wissen müsse, dass ihr Kandidat nur mit Stimmen der rechtsextremen AfD auf die erforderlichen 26 Stimmen kommen könne. An den CDU-Kandidaten habe ich dann noch persönlich appelliert, dass er gründlich nachdenken möge, ob er im Falle einer ausreichenden Mehrheit eine Wahl durch Rechtsextreme annehmen wolle. Neben uns erklärten auch die SPD-Fraktion und die Linken, dass sie der Wahl fernbleiben würden.
Bei der Wahl erreichte der CDU-Kandidat dann 25 Stimmen, 26 wären nötig gewesen. Durch dieses knappste aller möglichen Ergebnisse blieb das alte Präsidium im Amt.
Bei den Debatten gaben wir uns Mühe, den Ablauf der Versammlung dadurch zu beschleunigen, dass wir zu Konsensanträgen keine Redebeiträge hielten. So beschlossen wir, dass im Frühjahr 2026 die nächste Wohnungsbaukonferenz stattfinden soll (Antrag der SPD), dass im Zuge des Gewerbeflächenkonzeptes auch Potenzialflächen für die Errichtung eines nachhaltigen Rechenzentrums gesucht werden sollen (Volt) und dass bei Baumaßnahmen darauf geachtet werden sollen, dass die Behindertenparkplätze und Einrichtungen für Barrierefreiheit soweit es geht erhalten bzw. zugänglich bleiben (SPD).
In die von der CDU angemeldeten Debatte „Fernbahnhof Harburg: Sicherstellung von Abholer- und Bringerparkplätzen“ mussten wir uns allerdings einschalten. Mit dem Antrag soll eine Machbarkeitsstudie im Auftrag der Deutschen Bahn – sie ist Eigentümerin des Bahnhofsvorplatzes – abgelehnt werden. Anstatt mehr Grün und damit mehr Kühlung ermöglicht wird, mehr Busse parken können, mehr Fahrräder abgestellt werden können und fast 1000m² Fläche entsiegelt wird, will die CDU alle Parkplätze erhalten, am besten noch zusätzliche schaffen und auf Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen verzichten. Am Ende waren wir Grünen die einzige Partei, die hier zum Klimaschutz stand. Bei Enthaltung der Linken stimmten sämtliche andere Fraktionen für den Antrag der CDU, übrigens auch Volt, die damit erneut gegen ihr eigenes Programm verstießen.
Darauf folgte unsere eigene Debatte, in der wir dank eines von Moorburger Bürger*innen installierten Telraam-Gerätes belegen konnten, dass im Moorburger Elbdeich weder das angeordnete LKW-Durchfahrverbot beachtet, noch die Tempobeschränkung auf 30 kmh eingehalten wird. Durchschnittlich durchfahren rund 350 LKW am Tag die Strecke, das sind definitiv viel mehr als das Zusatzschild „Anlieger frei“ erlaubt. Beim Tempo sind deutlich über die Hälfte der Fahrzeuge mit mehr als 40 kmh gemessen worden, ein weiteres Drittel fuhr zwischen 30 und 40 kmh. Unsere Forderung war nicht nur eine schärfere Kontrolle durch „Blitzer“ und Kontrollen, sondern auch bauliche Maßnahmen, um den Verkehr zu verlangsamen. Die letzte Forderung haben wir dann in einen Prüfauftrag abgemildert, damit wir eine Mehrheit erhalten. Nur dadurch konnten sich die fraktionslosen Abgeordneten der SPD und auch die CDU mit unserem Antrag anfreunden und zustimmen.
Es folgten danach weitere 46 (!) inhaltliche Anträge, die darzustellen hier den Rahmen sprengen würde. Bei zahlreichen Anträgen hatten wir und andere Fraktionen Änderungsanträge gestellt, von denen einige übernommen, andere akzeptiert und weitere abgelehnt wurden. Konzentrieren wir uns auf die Anträge, die von uns eingebracht wurden. Diese kamen fast alle durch, teilweise mit Kompromissen und teilweise auch nur sehr knapp. Nur unsere Forderung, das angeordnete Parkverbot an der Einmündung Neuwiedenthaler Straße / Rehrstieg durchzusetzen und die Einsicht in den Kreuzungsbereich zu verbessern, fand keine Mehrheit.
Schon zu sehr später Stunde stellte Regina Marek noch unseren Antrag für mehr Sonnenschutz auf Harburger Schulhöfen in einem Kurzbeitrag vor und erntete einhellige Zustimmung mit Ausnahme eines AfD-lers, der den Antrag wutschnaubend als „Geldverschwendung“ adelte.
Sämtliche Anträge der AfD wurden von allen anderen Abgeordneten abgelehnt. Aber es gab diverse Anträge, denen AfD-Stimmen zur Mehrheit verhielfen. Berührungsängste konnten wir bei einigen Fraktionen sowie fraktionslosen Abgeordneten nicht mehr feststellen.
Gesagt sei auch, dass es in der Tat auch einen Antrag der SPD gab, bei dem bis in die Sitzung hinein unklar war, wie sich die CDU, FDP, Volt und die fraktionslosen Abgeordneten der SPD verhalten würden. Sie lehnten alle ab und so waren SPD, Grüne und Linke erstaunt und böse überrascht, dass auch hier die AfD dem Antrag zur Mehrheit verhalf.
An diesem Beispiel zeigt sich, wie wichtig es ist, dass die demokratischen Abgeordneten untereinander Transparenz schaffen, wie sie abstimmen werden, denn nur so kann verhindert werden, dass die AfD solche Erfolge feiern kann. Wir haben unser Abstimmungsverhalten den anderen Fraktionen außer der AfD gegenüber transparent gemacht und werden das trotz aller politischer Differenzen auch zukünftig tun, im gemeinsamen Interesse an demokratischen Mehrheiten.
Nach den zahlreichen Anträgen mussten wir noch zwei Ergänzungswahlen für den Jugendhilfeausschuss durchführen, den Sitzungsplan für 2026 beschließen, das Protokoll der Sitzung vom 1.7.25 verabschieden und einige Beschlussempfehlungen der Ausschüsse nachvollziehen. Um 21:45 Uhr beendete Britta Ost dann die Marathonsitzung.
Ferienbedingt findet die Oktobersitzung der Bezirksversammlung erst am 4. November statt. Wir werden dort den Klimaschutz für Harburg in das Zentrum der Sitzung stellen.
Für die Fraktion
Michael Sander
