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Bericht zur Bezirksversammlung am 29.4.2025

Zu Beginn der April-Sitzung hieß es zunächst mal Abschied zu nehmen. Und zwar von Hans-Christian Lied, unserem bisherigen Baudezernenten, der sich beruflich in Richtung Lüneburg verändert und von Dierk Trispel, unserem langjährigen Dezernenten für die Verwaltung und seit Herbst letzten Jahres kommissarischen Bezirksamtsleiter. Beide wurden mit warmen Worten des Vorsitzenden Holger Böhm und schönen Blumen verabschiedet. Herr Trispel bedankte sich mit einigen Worten für die gute Zusammenarbeit und wünschte sich, dass künftig die Zusammenarbeit zwischen der Bezirksversammlung und der Verwaltung weiterhin so gut verlaufe, wie dies über weite Strecken während seiner langjährigen Tätigkeit der Fall gewesen sei.

Vor Eintritt in die reguläre Tagesordnung stand noch die Befassung mit drei Dringlichkeitsanträgen der CDU. Zum ersten – er betraf die aktuelle Situation im Phönix-Viertel – hatte die SPD einen Ergänzungsantrag verfasst, der die Angelegenheit aus einer rein polizeilichen Perspektive in eine etwas breiter angelegte Betrachtung überführte und auch Ansätze der Jugendhilfe und der Sozialen Arbeit sowie wohnungswirtschaftlicher Maßnahmen in den Blick nimmt. Mit dieser Erweiterung konnten wir dem Anliegen zustimmen und so wurde sowohl die Dringlichkeit als auch der geänderte Antrag an sich mit breiter Mehrheit befürwortet.

Der zweite Dringlichkeitsantrag betraf den Trelder Weg, wo die Polizei wegen Einsturzgefahr die Lieferantenzufahrt zu den Einzelhandelsgeschäften sowie zur Marktfläche für Kfz über 2,5 Tonnen gesperrt hat. Auch hier konnten wir die Dringlichkeit nachvollziehen und dem Antrag zustimmen. Anders beim letzten Dringlichkeitsantrag, mit dem die CDU den in der März-Sitzung gefassten Beschluss zum Stopp der Planungen für den Rückbau der B 73 bis zur Fertigstellung der A 26 Ost durch einen zweiten Beschluss korrigieren wollte. Den ersten hatten wir stark kritisiert, weil er mit einer u. a. durch Stimmen der AfD zustande gekommenen Mehrheit gefasst worden war. Nicht deswegen, sondern weil die Bezirksversammlung mit dem Beschluss ihre Kompetenzen überschritten hatte, wurde der Beschluss von der Bezirksamtsleitung beanstandet und die Bezirksversammlung hat nun zwei Sitzungen Zeit, diesen Beschluss aufzuheben. Also auch noch in der Mai-Sitzung. Insofern keine Dringlichkeit für eine Befassung. Das sah die Mehrheit der BV genauso.

Für die aktuelle Stunde hatte Volt das Thema „Europa vor unserer Haustür – Ideen, Potentiale und Chancen der Gemeinschaft für Harburg nutzen“ angemeldet. Mit Ausnahme des Beitrags durch die AfD herrschte bei den Redner*innen große Einigkeit, dass Europa nicht nur, aber auch für uns im Bezirk ein großer Gewinn ist. Für uns sprach Sarah, die vor allem die Bedeutung der Grundwerte der EU für unser Zusammenleben, aber auch die EU als Zukunftsperspektive für junge Menschen, in den Mittelpunkt ihres Beitrags stellte. Außerdem wies sie auf die ambitionierten Ziele des „Green Deals“ für den Klimaschutz in Europa hin. Für Harburg bedeute das nicht nur klimaneutral zu werden, sondern mit einen positiven Effekt aufs Klima – also klimapositiv – voranzugehen.

Anschließend beschlossen wir eine Reihe von Zuwendungsanträgen. Anders als hier üblich, mussten wir alle Anträge einzeln abstimmen. Der Grund dafür war, dass CDU, Volt, FDP und AfD den zwei in insgesamt drei Ausschüssen debattierten Anträge des Kulturpalast Harburg auf Förderung der Projekte „Hip Hop Academy“ und „Klangstrolche“ nicht zustimmen wollten, obwohl der Träger alle gestellten Fragen aus unserer Sicht nachvollziehbar und vollständig beantwortet hatte und seine Argumente gut begründet hatte.

Als nächstes beschlossen wir den Bebauungsplan Neugraben Fischbek 73 für das Bahnhofsumfeld in Neugraben. Nach einem Verfahren über sieben Jahre seit dem Aufstellungsbeschluss haben wir damit nun ein neues Planrecht geschaffen, auf dessen Grundlage nun die bauliche Entwicklung des Neugrabener Zentrums vorangetrieben werden kann.

Zum Einstieg in die Debatten hatte die CDU einen ihrer „Dauerbrenner“ angemeldet. Wie schon zuletzt 2021 und 2023 beantragte sie, den Bezirklichen Ordnungsdienst (BOD) wieder einzuführen. Oksan Karakus für die SPD und ich, Michael,  argumentierten dagegen, dass der BOD eben gerade nicht für mehr Sicherheit sorgen könne, weil er keinerlei dafür erforderliche Kompetenzen habe, sondern lediglich ein „Außendienst der Bezirksverwaltung“ sei. Die zwischen 2006 und 2013 vom BOD wahrgenommenen Aufgaben werden mittlerweile durch andere Verwaltungsstellen wahrgenommen und es gibt daran wenig bis nichts zu kritisieren. Die Bezirksversammlung schloss sich mit der Mehrheit aus SPD, Grünen und Linken dieser Position an und der Antrag wurde abgelehnt. See you again in 2027 …

In der zweiten Debatte wollte die Linkspartei die Technische Universität Hamburg (TUHH) an ihre stadtteilkulturpolitische Verantwortung erinnern und im Kulturausschuss mit ihren Vertreter*innen besprechen, inwieweit das Orchester der TUHH (SwingIng) wieder besser unterstützt werden könne. Bemerkenswert in dieser Debatte war der Beitrag von Birgit Fischer-Pinz von der CDU. Nachdem sie eingangs meinte, es handele sich um einen „total falschen Antrag von vorne bis hinten“, schloss sie ihren Beitrag mit der Auskunft, dass ihre Fraktion dem Antrag zustimmen würde. Letzterer Meinung schloss sich eine breite Mehrheit der BV an.

Es folgte die Debatte der SPD mit einem gemeinsam mit uns, den Linken und Volt eingebrachten Antrag, mit dem wir die Umgehung der Mietpreisbremse in Harburg bekämpfen möchten. Mit Ausnahme einiger AfD-Abgeordneter herrschte hier ebenso zustimmender Konsens wie bei der darauffolgenden Debatte (ebenfalls SPD) zur Instandsetzung des „Clever City Parcours“.

Die CDU wollte die Durchfahrt von Schwerlastverkehr durch Cranz und Neuenfelde während baustellenbedingter Sperrungen verhindern. Diesen Versuch hat die BV vor zwei Jahren schon einmal unternommen und eine Ablehnung mit ausführlicher Begründung seitens der Straßenverkehrsbehörde erhalten. Der Antrag wurde mehrheitlich zunächst ohne Annahme in den Regionalausschuss Süderelbe überwiesen, damit geklärt werden kann, welche anderen Voraussetzungen diesmal geltend gemacht werden können, um die Chancen einer Durchsetzung zu erhöhen.

Endlich kamen dann wir zum Zuge und stellten unseren Antrag auf Einrichtung einer Tempo-30-Zone im nördlichen Teil der Fleestedter Straße vor. Für die CDU sprach Uwe Schneider gegen den Antrag. Allerdings hatte er ihn offensichtlich nicht sehr gründlich gelesen, denn seine Argumente gegen den Antrag bezogen sich auf Abschnitte der Straße, für die der Antrag gar nicht gestellt war. Das hielt die CDU aber ebenso wie die AfD und die FDP nicht davon ab, die bessere Sicherung von Schulkindern abzulehnen und so waren es SPD, Grüne, Linke und Volt, die mit ihrer Mehrheit den Antrag beschlossen.

Die Debatten endeten mit der Anmeldung der AfD, der eigentlich keiner Würdigung durch eine Gegenrede wert war. Die SPD konnte aber nicht widerstehen und gab so der AfD eine Bühne, ihren Antrag nicht nur vorzustellen, sondern auch auf die Gegenrede mit zwei weiteren unwürdigen Wortbeiträgen zu reagieren. Am Ende lehnten wir den Antrag mit allen demokratischen Stimmen ab.

Von den sechs weiteren Anträgen ohne Debatte beschlossen wir vier (darunter auch einen der CDU), die anderen überwiesen wir ohne Annahme in die zuständigen Fachausschüsse, um sie dort zu „verfeinern“.

Zwischenzeitlich verzögerte die AfD noch den Sitzungsverlauf durch die (ihr nach Geschäftsordnung zustehende) Einberufung des Ältestenrates, weil ihrer Meinung nach das Präsidium bei der Feststellung der Abstimmungsergebnisse nicht genau genug vorgehen würde. Dazu muss man erwähnen, dass es vor allem die Abgeordneten der AfD sind, die sich „frei nach Schnauze“ mal gar nicht, mal individuell abweichend und mal undeutlich bei den Abstimmungen melden. Natürlich kommt das auch bei anderen Fraktionen vor, aber alle Fraktionen außer der AfD verhalten sich in aller Regel bei Abstimmungen geschlossen.

Zu mittlerweile fortgeschrittener Stunde ging es dann um einen Antrag der SPD zur Umbesetzung des Jugendhilfeausschusses (JHA). Dieser Ausschuss hat einen Sonderstatus, weil er kein „normaler“ Fachausschuss der Bezirksversammlung ist, sondern zusätzlich die Funktion eines bundesgesetzlich im SGB VIII vorgesehenen Mitbestimmungsgremiums für das bezirkliche Jugendamt hat. Deshalb müssen die Mitglieder von der Bezirksversammlung durch Wahl bestimmt werden und können nicht durch die Fraktionen entsendet werden. Die SPD wollte nun im JHA die Besetzung ändern. Der betroffene SPD-Abgeordnete, Markus Sass, appellierte nun aber an die Bezirksversammlung, diesen Antrag der SPD abzulehnen und ihm seine Mitgliedschaft im JHA zu erhalten. In einer geheimen Abstimmung erhielt der Antrag der SPD 23 Stimmen, weitere 23 Stimmen votierten dagegen bei 4 Enthaltungen (ein Mitglied der Bezirksversammlung fehlte während der ganzen Sitzung). Somit verfehlte der Antrag die erforderliche Mehrheit und der JHA bleibt in seiner Zusammensetzung unverändert.

So wie bereits im März und im Februar kam es also erneut zu der Situation, dass an einer Stelle der Tagesordnung die eigentlich bestehenden Mehrheitsverhältnisse durch abweichendes Abstimmungsverhalten verfehlt wurden. Diese Situation, bei fast jedem umstrittenen Antrag im Ungewissen zu bleiben, wie ein Teil der SPD-Fraktion sich verhalten wird, ist eine schwere Belastung für die Zusammenarbeit zwischen SPD, uns und den Linken. Wir drängen deshalb auf eine Klärung dieser Situation innerhalb der SPD-Fraktion, selbst wenn das bedeuten würde, dass die drei Parteien SPD, Grüne und Linke ihre von den Wähler*innen bestimmte Mehrheit in der Bezirksversammlung verlieren sollten. Denn was nützt eine Mehrheit, die im entscheidenden Moment nicht „steht“?

Wenn in diesem Bericht der Eindruck entsteht, dass die Anträge und Beschlüsse der Bezirksversammlung im Mittelpunkt standen, so ist dieser Eindruck leider falsch. Mehr als bisher prägte die AfD mit ihren Wortbeiträgen, Zwischenrufen und Geschäftsordnungsanträgen die Sitzung. Auch das Scheitern der Ausschussumbesetzung der SPD ist keine Sachentscheidung gewesen, nimmt aber in der Berichterstattung den meisten Raum ein. Wer also die Bezirksversammlung mittelbar über die Presse verfolgt, erhält den Eindruck, dass es dort gar nicht um sachliche Politik geht, sondern nur um Macht und Formalitäten. Die 11 beschlossenen Anträge (plus eine ganze Reihe weiterer bereits im Hauptausschuss einvernehmlich beschlossener Anträge) werden öffentlich kaum wahrgenommen. Das ist bedauerlich, denn es verzerrt die Wahrnehmung der Harburger*innen von „ihrer“ Politik vor Ort, die sich oft über weite Strecken einig ist und innerhalb des demokratischen Parteienspektrums gut zusammenarbeiten kann.

Für die Fraktion, Michael Sander