Aktuelle Stunde: Integration in Harburg

Rede von Tülin Akkoç am 27.11.2018

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

sehr geehrte Damen und Herren,

als ich noch zur Grundschule ging, gab es in meiner Klasse außer mir keinen weiteren Schüler nicht-deutscher Herkunft. Heute hat fast jeder dritte Schulanfänger in Deutschland eine Einwanderungsgeschichte. Wir sind ein Einwanderungsland, und das nicht erst seit 2015!

Von den 164.ooo Menschen, die in Harburg leben, haben 43% einen Migrationshintergrund und bei den unter 18-Jährigen haben gut zwei Drittel der jungen Menschen eine Migrationsbiografie.  Wenn wir also sagen, dass die Jugend unsere Zukunft ist, und dies auch ernst meinen, müssen wir genau diese Tatsache im hohen Maße und mit Priorität bei unseren Konzepten mitberücksichtigen.

Unter dem Titel „Zusammenleben in Vielfalt“ fand diesen Monat die 9. Harburger Integrationskonferenz statt. Zudem findet aktuell das Bewerbungsverfahren zum Harburger Integrationsrat statt, welcher am 26.Januar neu gewählt wird.

Dies nehmen wir Grüne zum Anlass, in der heutigen „aktuelle Stunde“ aufzuzeigen, wo wir in der Integrationspolitik in Harburg stehen – auch im Vergleich zu anderen Bezirken und welche Maßnahmen bereits durchgeführt wurden und in welchen Bereichen noch Handlungsbedarf  besteht.

Zunächst  aber möchte ich Ihnen kurz unser Verständnis zum Begriff „Integration“ erläutern: Unsere Überzeugung ist, dass Integration nicht einfach nur Vielfalt und schon gar nicht „Assimilation“ bedeutet. Wir verstehen Integration als die Befähigung zur Teilhabe aller Gruppen am gesellschaftlichen Leben – sei es in Bildung und Wissenschaft, in der Arbeitswelt oder im kulturellen und politischen Leben. Die Gleichberechtigung der Geschlechter ist dabei ebenso selbstverständlich wie die Einbeziehung von Menschen mit unterschiedlichen Altersgruppen, sexueller Orientierung sowie Menschen mit Behinderung.

Es geht uns um ein friedliches Zusammenleben von Menschen, mit verschiedenen Biografien und Muttersprachen, die hier in Deutschland ihre Verschiedenheit bewahren können und dabei zugleich etwas Gemeinsames schaffen, von dem alle profitieren können. Integration also auch als Chance begreifen! Der Begriff Integration kommt damit dem Inklusionsgedanken sehr nahe. Weil insbesondere aber der Begriff Inklusion  derzeit im anderen Kontext besetzt ist,  bleiben auch wir vorerst beim Begriff Integration, in der Hoffnung, gesellschaftspolitisch bald so weit zu sein, von „Inklusion“ zu sprechen!

Gelungene Integration fällt nicht vom Himmel. Dafür bedarf es sinnvolle Konzepte und strukturelle Rahmenbedingungen. Integrationspolitik darf  dabei nicht als eigenständiges Politikfeld verstanden werden, sondern als  Querschnittsaufgabe für alle Fachbereiche.

Die Integrationsarbeit im Bezirk Harburg basiert auf dem Harburger Integrationskonzept „Zusammenarbeit in Eigenverantwortung“, welches im Jahr 2011 mit breiter Unterstützung in diesem Haus beschlossen wurde. Es beinhaltet neben einem Leitbild auch konkrete Maßnahmen und Handlungsfelder wie Sprache, Bildung und Ausbildung sowie die berufliche und soziale Integration.

Unser Bezirk ist im Übrigen neben Altona der einzige Bezirk, der ein solch umfassendes Papier entwickelt hat!!!  Doch was nützt das beste Papier, wenn es nicht mit Leben gefüllt wäre. Durch die professionelle und engagierte Arbeit der Bezirksverwaltung mit der Harburger Integrations-beauftragten  ist es in den letzten Jahren gelungen, in einem breiten Beteiligungsprozess nachhaltige bezirkliche Kommunikations- u. Mitbestimmungsgremien wie die Interkulturelle Meile, die Integrationskonferenzen und den Integrationsrat zu entwickeln.

Auf Grund der gestiegenen Flüchtlingszahlen im Jahr 2015 und die daraus resultierende neue gesellschaftliche und politische Situation  wurde in einen einjährigen breiten partizipativen Prozess das  Harburger Leitbild aktualisiert und neue Maßnahmen erarbeitet. Viele dieser Maßnahmen wurden oder werden bereits durchgeführt.

Neben Veranstaltungen und Fortbildungen fördert das Bezirksamt Orte der Begegnungen und bemüht sich um weitere finanzielle Mittel des Forums Flüchtlingshilfe sowie um Bundesmittel über die Lokalen Partnerschaften. Darüber hinaus beteiligt es sich u.a. an dem Interreligiösen Dialog und hat sich die interkulturelle Öffnung der Seniorentreffes auf die Fahne geschrieben. Für die Förderung zur Beruflichen Integration von Geflüchteten wurde ein Pendant der Beratungsstelle  „Work in Integration for Refugees“ auch in Harburg etabliert.

Die Elternbeteiligung wird erreicht beispielsweise über mehrsprachige Eltern-Lotsenprojekte und die Kita-Informationskampagne „Gemeinsam für dein Kind“.  Weil Integration insbesondere auch über die Emanzipation und den Bildungszugang der Frauen geht, brauchen wir  für die geflüchteten Frauen und Migrantinnen dringend noch mehr Integrationskurse mit Kinderbetreuung.

Bei all den eben genannten Vorhaben und Aktivitäten der Verwaltung ist der Integrationsrat ein wichtiger Berater auf Augenhöhe, der besondere Fähigkeiten, Know-How und seine Netzwerke miteinbringt. Dieses Gremium hat von Anfang an die Integrationskonferenzen maßgeblich mitgestaltet und begleitet. Sie sitzen nicht nur im Sozial- und Jugendhilfeausschuss, sondern bieten regelmäßige Sprechstunden für die Harburgerinnen und Harburger an. Zudem haben sie ein das erfolgreiches Mentoring-Projekt mit dem Titel S-Plus initiiert, wo TU-Studenten den Schülern der Goethe-Schule helfen. Dieses erfolgreiche Engagement des Integrationsrates kann man gar nicht oft genug würdigen. Die Sozialsenatorin Melanie Leonhard hat deshalb den Mitgliedern diesen Monat den Harburger Nachweis überreicht– eine Urkunde für besonderes ehrenamtliches Engagement. Herzlichen Glückwunsch dafür!

Beim Schwerpunktbereich zur Förderung der Interkulturellen Kompetenz in der Harburger Verwaltung wurden die Ziele des Leitbildes am wenigsten erreicht  und können uns nicht zufrieden stellen. Hier geht es um die Themenfelder der Bewerbungsverfahren, Stellenausschreibungen sowie der Teilnahme an Fortbildungen zu dem Thema.  Beispielsweise hat eine Befragung im Bezirksamt ergeben, dass von 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern es im Jahr 2018 lediglich eine Teilnahme zur Fortbildung zum Thema „Interkulturelle Kompetenz“  gegeben hat. Was können wir also tun, damit sich dies ändert? In der jeweiligen Arbeitsgruppe wurde darüber diskutiert, ob man für bestimmte Bereiche wie z.B. bei der Ausländerbehörde diese Fortbildungen verpflichtend machen sollte. Wir glauben, dass hier Anreizsysteme geschaffen werden müssten. Auch könnte es helfen, wenn die Teilnahme solcher Fortbildungen durch die Leitungsebenen vorgelebt werden würde, dies könnte auch die anderen Ebenen positiv beeinflussen und eine höhere Akzeptanz schaffen.

Kommen wir nun zu der Frage, warum wir die Antidiskriminierungsarbeit stärker als bisher in den Fokus unserer Arbeit nehmen müssen: Auf der Integrationskonferenz wurden uns von Prof. Dr. Pieper die Ergebnisse der Umfrage „Zusammenleben in Harburg“ vorgestellt.  Festgestellt wurde u.a. dass sich die Harburgerinnen und Harburger stark mit ihrem Bezirk identifizieren. Das ist erst mal positiv festzuhalten.

Was uns aber bedenklich stimmt, ist dass 35,6 % der Befragten Ressentiments gegen Eingewanderte, Geflüchtete und Muslime äußerten. Dies überrascht nicht. Eine aktuelle bundesweite Studie der Uni Leipzig zeigt, dass zum einen rassistische Einstellungen in Deutschland gestiegen sind, und zudem zunehmend salonfähig werden. Deshalb sollten wir auch diese Ergebnisse in Harburg ernst nehmen. Wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, dass beispielsweise Harburger Schülerinnen mit muslimischem Hintergrund in der Jugendkonferenz darüber berichten, dass sie sich von ihren Lehrern oftmals missverstanden oder von ihnen diskriminiert fühlen.

Wir müssen Heranwachsenden mit familiärer Einwanderungsgeschichte  vermitteln „Du gehörst zu uns. Es ist nicht wichtig, wo Du herkommst. Wichtig ist, wohin Du willst. Allein daran messen wir Dich!“ So eine Ansprache ist auch deswegen wichtig, wenn man verhindern will, dass sich jemand sonst woanders eine Schulter zum Anlehnen sucht. Emotionsgetragene Sprache dürfen wird nicht den Radikalen und Populisten überlassen. Wir müssen mit dem Bekenntnis zur freiheitlichen Gesellschaft gemeinsame Zukunftsziele formulieren. Dabei sind jegliche Art von Rechtsextremis aber auch religiös begründeter Extremismus sowie alle Formen von Antisemitismus zu verurteilen und zu bekämpfen. Die Anne-Frank-Ausstellung in der Harburger Bücherhalle  oder die Aktion der SPD mit der „Lichterkette gegen Rassismus, Diskriminierung und Antisemitismus“ sind gute Beispiele an Initiativen zum Erreichen für diese Ziele.

Wir, als Grüne-Fraktion- werden uns auch weiterhin für die Einrichtung einer Antidiskriminierungsstelle hier im Bezirk einsetzen. Wir sind optimistisch, dass  insb. Sie liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, die erneuten Anregungen und die Ergebnisse der Studie zum Anlass nehmen, um ihre Meinung diesbezüglich nochmal überdenken. Damals hatten sie noch ihren Koalitionspartner der CDU an der Seite, deren Mitglieder sogar im Sozialausschuss angezweifelt haben, dass es für Menschen mit ausländisch klingendem Namen schwerer ist, eine Wohnung zu finden. Und das, obwohl dies schon durch unterschiedlichste Studien belegt wurde.

Natürlich braucht man für einzelne Maßnahmen auch Geld, aber es geht manchmal im ersten Schritt darum, einen Bedarf zu erkennen und  schwarz auf weiß als Ziel zu formulieren, um so auch eine poltische Haltung einzunehmen!

Wenn wir über Teilhabe sprechen, geht es auch um die poltische Teilhabe. Das meine Damen und Herren, ist der deutsche Pass!!! Für viele von Ihnen ist es vielleicht nur ein Reisedokument.  Aber für viele Menschen ist es mehr, es ist ein Symbol für die Deutsche Staatbürgerschaft und gleichbedeutend für Freiheit und Sicherheit sowie Wahlrecht. Die Einbürgerung ist derzeit die einzige Möglichkeit, vollumfängliche politische Teilhabe zu erlangen. Doch dies ist  für viele Menschen mit rechtlichen Hürden, Herausforderungen und Unwissenheit verbunden. Obwohl Hamburg seit Jahren zwar die höchste Einbürgerungsquote aller Bundesländer hat, ist das Potential mit 2,2 % noch lange nicht ausreichend ausgeschöpft.

In Harburg leben derzeit rund 35.000 mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Sie alle besitzen nicht das allgemeine Wahlrecht. Außer den EU-Bürger gibt also viele Menschen, die seit Jahrzehnten hier leben, hier arbeiten, hier Steuern zahlen, aber nicht mal bei den Bezirkswahlen über die politischen Verhältnisse hier im Harburger Rathaus mitbestimmen dürfen, geschweige denn sich aufzustellen und wählen zu lassen. Deshalb fordern wir Grüne im Übrigen auf unterschiedlichen Ebenen seit Jahren das Kommunale Wahlrecht für alle.

Beim Thema der politischen Teilhabe kann der Integrationsrat eine gute Brücke schlagen. Jeder der sich im Bezirk politisch einbringen will, unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit kann zum einen bei der Wahl mitwählen oder sich sogar für den Rat aufstellen lassen.

Auch wenn es in anderen Bezirken verschiedene Beteiligungsformate für Menschen mit Migrationshintergrund gibt wie z.B. den formalisierten Runden Tisch, ist Harburg der einzige Bezirk, wo es einen demokratisch gewählten Integrationsrat gibt, was diesem Gremium umso mehr eine Legitimation für ihre Arbeit gibt!

Am Ende bleibt festzuhalten, dass es  zwar  noch einiges beim Prozess zu einer offenen Gesellschaft zu tun gibt, wir aber auf einem sehr guten Weg sind. Harburg kann stolz sein, in vielen Fragen der Integrationspolitik Alleinstellungsmerkmale vorzuweisen und damit ein Vorreiterbezirk zu sein.

An dieser Stelle  möchten wir  uns bei allen Akteuren bedanken, die sich bei diesem Prozess mit eingebracht haben. Auch  Herr Völsch hat diesen Prozess von Anfang an mit Engagement und Herz begleitet  und wir hoffen, dass unsere neue Bezirksamtsleiterin das auch tun wird. Wir sind da sehr optimistisch. Deshalb freuen wir uns auch auf eine weiterhin konstruktive Zusammenarbeit mit Ihnen allen. Vielen Dank!